Ein Strich.
Schief. Vielleicht zu dick. Vielleicht an der falschen Stelle.
Ein Erwachsener würde ihn wegradieren.
Ein Kind lässt ihn stehen.
Und vielleicht ist genau das der Unterschied.
Denn was wir oft als „Kritzelei“ abtun, kann ein Stück Geschichte sein.
Ein erster Versuch. Ein Ausdruck von Gefühl. Ein Schritt auf dem Weg des Großwerdens.
Manchmal sind Striche auch Wegmarken des Lebens.
Für Kinder sind Stifte Werkzeuge ihrer inneren Welt.
Sie malen, was sie fühlen, was sie denken, was sie (noch) nicht in Worte fassen können.
Ein Strich kann bedeuten:
„Ich habe mich heute mutig gefühlt.“
„Hier war ich traurig.“
„So sieht mein Hund in meinem Herzen aus.“
Und auch, wenn wir die Bilder oft nicht „verstehen“, spüren wir:
Da passiert etwas Echtes.
Viele Eltern kennen es:
Der Kühlschrank hängt voller bunter Zeichnungen.
Doch irgendwann… landen sie in einer Schublade. Oder im Papiermüll.
Dabei verdienen sie einen anderen Platz – in unserer Erinnerung.
Denn jede Zeichnung erzählt eine Geschichte:
Das erste Mal, dass dein Kind eine Figur gemalt hat.
Der Moment, in dem es „nur mal eben kritzeln“ wollte – und eine Stunde vertieft war.
Der Regenbogen mit den sieben Farben, weil es gerade Freundschaft gebraucht hat.
Diese Striche sind mehr als Linien.
Sie sind Lebenszeichen. Spuren. Wegmarken.
Wenn Kinder malen, erleben sie etwas Wertvolles:
Sie dürfen entscheiden.
Farbe, Form, Platz, Thema – alles liegt in ihrer Hand.
Sie sind frei von Bewertung.
Frei von richtig und falsch.
Frei, sie selbst zu sein.
Und das ist es, was wir bewahren sollten.
Nicht das perfekte Bild – sondern das freie Tun.
In einer Welt voller Leistung, Optimierung und Perfektion vergessen wir oft:
Wir dürfen auch einfach mal wieder einen schiefen Strich machen.
Nicht alles muss sinnvoll sein.
Nicht alles muss gut aussehen.
Nicht alles muss gefallen.
Ein Strich kann eine Entscheidung sein.
Ein Ausdruck.
Ein Moment von Mut.
Vielleicht ist es an der Zeit, wieder öfter zu kritzeln, ohne Ziel.
Nicht um zu zeigen, was wir können – sondern um zu zeigen, wer wir sind.
🖍️ Hänge wieder ein Kinderbild sichtbar auf.
Nicht wegen des Inhalts, sondern wegen der Geschichte dahinter.
📔 Führe ein „Strich-Tagebuch“.
Lass dein Kind oder dich selbst jeden Tag einen Strich machen. Ohne Plan. Einfach nur so.
🎨 Macht gemeinsam ein Mandala – aber nicht nach Vorlage.
Erfindet Formen. Malt über den Rand. Und redet dabei nicht über richtig oder falsch.
Ein Strich ist nie nur ein Strich.
Er ist Bewegung. Ausdruck. Erinnerung.
Für Kinder sind es die ersten Schritte in ein kreatives, freies Leben.
Für uns Erwachsene eine Einladung, uns wieder mit dem Wesentlichen zu verbinden:
🖍️ Uns selbst.
Denn manchmal sind es nicht die großen Entscheidungen, die unseren Weg markieren.
Sondern genau diese kleinen, schiefen, echten Striche.
Unsere ganz persönlichen Wegmarken.